Gut ist das neue Schön. Und Schön ist das neue Nett. Und das Gegenteil von individuell. Einerseits ist alles schön, was richtig ist, Nachhaltigkeit, Achtsamkeit und alle, mit denen man sich identifizieren kann. Ed Sheeran fällt mir da ein. Andererseits wird ständig das Hohelied der Authentizität gesungen. Bei zu viel Eigenständigkeit, ist allerdings schnell Schluss mit dem Lobgesang. Ich habe letztens den Begriff Massenindividualitätin Bezug auf Mode und Zeitgeist gelesen. Das ist zwar nicht schön, aber richtig.
Schönheit liegt im Auge des Betrachters‘ heißt es, aber das ist natürlich Quatsch. Gemeint ist persönlicher Geschmack und der hat mit Schönheit oft genau so wenig zu tun wie George Clooney mit Robert Geissen. Aber niemand will sich vorschreiben lassen will, wer oder was als schön zu gelten hat. Bei Fashion-Shows wird Angelina Kirsch, die tatsächlich ein sehr schönes Gesicht hat, immer besonders beklatscht, weil sie Größe 46 trägt. Germanys Next Top Models werden trotz perfekter Figuren und ebenmäßiger Gesichter nicht als schön angesehen. Heidi Klum hat als Profi natürlich andere Auswahlkriterien als Fräulein Tausendschön aus dem Finsterwalde, dafür will man sich irgendwie rächen und macht die Models runter.
Kim Kardashian und Silvie Meis dagegen werden für schön gehalten. Sie haben das Optimale aus sich herausgeholt und da kann im Prinzip jede*r mitmachen.
‚Ist doch schön‘ war schon das Totschlagargument meiner Mutter, die als Modefachverkäuferin ihre Vorstellungen von Style gegen mein früh erwachtes Modebewusstsein durchsetzen wollte. Spätestens damit war klar, dass man mit Mutters Ideen in der eigenen Peergroup trendmäßig nicht punkten konnte.
‚Schön is, wenn et schön is‘ ist ein rheinisches Sprichwort. Das hat der Rheinländer wie immer schön auf den Punkt gebracht.
Aber wenn alles schön ist und alle schön sind, ist nichts und niemand mehr schön. Da passt mein Lieblingszitat: Die Demokratisierung des Geschmacks ist die Diktatur der Geschmacklosigkeit.
Die wirklich wahre Schönheit ist selten und dann mehr Fluch als Segen. Zwei Beispiele: Ich war bei einem klassischen Konzert, Chor und Orchester, bei dem es um den absoluten Klang, die reinste Reinheit und die schönsten Töne ging. Das hatte was faschistoides, da waren sich die Besucher einig and I was ready to kill.
Bei einer Produktion auf Sardinien hatten wir ein so schönes Männermodel, dass die Leute buchstäblich verstummt sind, wenn man mit ihm abends ins Restaurant kam und wohl erwarteten, dass er die Menge teilt. Zum Shooting erschien eine Mutter mit zwei Kindern, die nichts anderes wollten, als dem schönen Mann anzugucken. Und die arme Visagistin, die sich jeden Morgen als Erste soviel Perfektion gegenübersah, beklagte, dass sie diesen Blick, diesen Mund und diesen Ausdruck nicht mehr aushalten könne und jeden Tag aggressiver würde.
‚Du Schöne‚ steht unter geposteten Fotos, auch wenn man vom Winde verweht in der Landschaft steht oder sich fettglänzend in ungünstiger Position auf der Sonnenliege suhlt. Es geht dabei wohl um die vermutete innere Schönheit und soll ein Trost sein, weil diese leider nicht in jeder Lebenslage außen sichtbar ist.
A propos innere Schönheit! Exaltiertheit und Hedonismus waren Mal Wesenszüge der Schönen undReichen. Halsbrecherische Sexabenteuer an exotischen Orten, Alkohol- und Drogenexzesse, öffentliche Ausraster bei Veranstaltungen der Hochkultur und von schnöseligen Erben verprasste Millionen hatten super Unterhaltungswert. Was mal großherzig als Zeichen von Lebenshunger und Aufbegehren durchging, ist mittlerweile nur noch Trash. Den happy few war es egal, was die Leute dachten. Das geht heute gar nicht mehr, Filterblase hin oder her, man will gefallen. Über die zeitgemäßen Schönen und Reichen (vulgo: Promis) wird stattdessen Folgendes berichtet: sie/er lebt mit Partner*in, zwei Kindern und Kater Moritz in einem Vorort von Pforzheim und baut in eigenem Garten biodynamisch Gemüse an.
Noch ein Tipp für was richtig Schönes, das gut auszuhalten ist: Der Film La Grande Bellezza von Paolo Sorrentino aus dem Jahr 2013. Da passiert nichts und alles ist schön, Hedonismus und Exaltiertheit inklusive und dabei völlig ohne Kitsch.
In diesem Sinne, ein besonders schönes Wochenende!